Berichterstattung in laufenden Gerichtsverfahren

Das Medieninteresse bei laufenden Gerichtsverfahren ist zuweilen groß. Sei es z.B. bei den Strafprozessen um Beate Zschäpe und die rechtsextremen Morde des NSU, zivilrechtliche Entscheidungen um die Kennzeichnung von Instagram-Beiträgen als Werbung im Fall von Cathy Hummels oder steuerstrafrechtliche Gerichtsverfahren um den ehemaligen Chef der Deutschen Post Klaus Zumwinkel oder den ehemaligen Präsidenten eines Fußball-Verein Uli Hoeneß – in allen Fällen war das Interesse am Ausgang des Verfahrens sehr groß.

Doch gerade in Strafverfahren besteht, wie sich z.B. am Fall von Jörg Kachelmann zeigen lässt, immer die Gefahr, dass Beschuldigte bereits mit dem Beginn eines Strafverfahrens durch die Medien und ihre Berichterstattung vorverurteilt werden. Doch gilt auch hier, dass ein Angeklagter erst dann schuldig ist, wenn ihm die Tat nachgewiesen werden konnte und er verurteilt worden ist.

Deshalb muss bei der sog. Verdachtsberichterstattung mit der gebotenen Vorsicht und Sachlichkeit über laufende Gerichtsverfahren berichtet werden. Der BGH hat kürzlich mehrfach über solche Fälle zu entscheiden gehabt.

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht und Strafverteidiger Markus Bialobrzeski informiert in diesem Beitrag über die Verdachtsberichterstattung und die kürzlich veröffentliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs.

Berichterstattung zwischen Persönlichkeitsrecht und Pressefreiheit

Bei der medialen Berichterstattung über laufende Gerichtsverfahren treffen zwei grundlegende Grundrechte zusammen:

  • das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angeklagten aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz
  • auf Seiten der Medien, die Kommunikationsfreiheiten aus Art. 5 GG – hierzu gehören die Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Rundfunkfreiheit und z.T. die Kunstfreiheit (je nach Form der Verarbeitung der Berichterstattung).

Bei einer Berichterstattung müssen diese beiden Grundrechts-Sphären gegeneinander abgewogen und jeweils beachtet werden. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nicht schrankenlos gewährleistet, so dass ein Eingriff z.B. durch das widerstreitende Grundrecht der Pressefreiheit grundsätzlich dagegen abzuwägen ist und die Persönlichkeitsrechte verdrängen kann.

Dient die Berichterstattung z.B. der Herabwürdigung des Angeklagten, darf diese nicht veröffentlicht werden bzw. verletzt den Angeklagten in seinen Rechten. Dient die Berichterstattung allerdings der öffentlichen Information und Meinungsbildung, so sind Veröffentlichungen grundsätzlich möglich.

Verdacht muss klar erkennbar sein

Während eines Strafprozesses darf z.B. über den Verdacht gegen den Angeklagten berichtet werden. Hierbei muss das berichtende Medium bzw. müssen die Medienberichte sehr klar diesen Verdacht beinhalten, da es sich bei der Anklage erst einmal nur um den Verdacht einer strafbaren Handlung oder Straftat handelt.

Nur wenn das Gericht, welches über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten entscheidet, den Angeklagten auch tatsächlich verurteilt, hat sich der Verdacht bestätigt. Hat sich der Verdacht nicht bestätigt, wird der Angeklagte freigesprochen und eventuelle mediale Vorverurteilungen können zu Schadensersatzforderung führen.

Grenzen der Verdachtsberichterstattung

Doch gerade die Verdachtsberichtserstattung ist durch die Wechselwirkung zwischen Persönlichkeitsrechten des Angeklagten und Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht einfach. Letztlich muss sich die Verdachtsberichterstattung immer in jedem Einzelfall daran messen lassen, ob die Berichterstattung der Wahrheit entsprach oder nicht und, ob eventuelle Verdachtsmomente als solche benannt und deutlich dargestellt worden sind.

Entsprach die Berichterstattung nicht der Wahrheit, wird über z.B. einen Angeklagten falsch berichtet und seine Reputation in der Öffentlichkeit geschädigt, liegt ein Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte vor. Einem so Geschädigten stehen verschiedene Ansprüche gegen das berichtende Medium zu. Dies sind z.B. die Unterlassung der Berichterstattung, eine Gegendarstellung bzw. Berichtigung sowie Schadensersatzansprüche.

Der Fall Jörg Kachelmann

Im Fall des TV-Wetter-Moderators Jörg Kachelmann lässt sich erkennen, dass während des Strafprozesses es durchaus Medien gab, die eben nicht so über den Strafprozess und den Verdacht berichtet haben, dass die Persönlichkeitsrechte von Jörg Kachelmann nicht rechtswidrig missachtet wurden. Selbst während der Urteilsbegründung in dem Strafprozess gegen Kachelmann kritisierte das Gericht selbst, dass es keine unvoreingenommene Berichterstattung gab und auch keine unvoreingenommene öffentliche Meinungsbildung möglich war.

Wegen verschiedener Berichte in Print- und Online-Medien verklagte Kachelmann zwei Verlage – Springer und Burda – auf Zahlung von Schmerzensgeld. Während mit dem Burda-Verlag ein Prozessvergleich geschlossen werden konnte, führte die Klage gegen den Springer-Verlag zu mehren Verfahren vor dem Landgericht Köln, dem OLG Köln und dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Der BGH wies die Nichtzulassungsbeschwerde ab. Kachelmann erhielt letztlich 395.000 Euro Schmerzensgeld nach der letzten Entscheidung.

BGH: Der „Millionenbetrüger“ und die Verdachtsberichtserstattung

In dem kürzlich durch den BGH entschiedenen Fall ging es um einen Kölner Zahnarzt, der sich wegen des Verdachts des Betrugs vor dem Landgericht Köln verantworten musste. Bereits am ersten Verhandlungstag des Strafprozesses titelte das Onlineportal bild.de: „Kölner Zahnarzt ein Millionenbetrüger?“. Dabei wurden u.a. der vollständige Vorname des Arztes, der erste Buchstabe seines Nachnamens, sein Alter und die Lage seiner Praxis in der Kölner Innenstadt veröffentlicht. Der Vorwurf gegen u.a. den Zahnarzt lautete, er habe eine Firma gegründet, teure Elektronikartikel gekauft und dann nicht bezahlt.

Der Arzt wurde in dem Strafverfahren wegen Betrug, Nötigung und Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.

Identifizierbarkeit des Arztes durch Online-Artikel?

Dass es sich bei den Vorwürfen, über die in dem Artikel berichtet wurden, lediglich um den Verdacht von teils schweren Straftaten handelte und der Strafprozess erst an seinem Anfang stand, hat das Online-Angebot dabei beachtet. Streitpunkt war jedoch später, ob der Arzt durch die veröffentlichten Angaben zu leicht zu identifizieren sei. Der Kölner Zahnarzt sah durch die vermeintlich zu einfache Identifizierung seine Persönlichkeitsrechte verletzt.

Der Arzt argumentierte weiter, er hätte vor der Veröffentlichung die Möglichkeit haben müssen sich zu den Vorwürfen äußern zu dürfen. Dies gehe aus den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung hervor. Aus diesen Gründen war der Artikel in dem Online-Portal rechtswidrig, so der Arzt.

Landgericht und Oberlandesgericht gegeben Arzt teilweise Recht

In den beiden Verfahren vor dem Landgericht Köln und dem Oberlandesgericht Köln hatte der Arzt zumindest teilweise Erfolg. Beide Gerichte sahen es in unterschiedlichem Umfang für gegeben an, dass die Berichterstattung eine rechtswidrige Identifizierung möglich mache und daher zu unterlassen sei.

BGH: Berichterstattung war rechtmäßig

Das Online-Portal legte gegen das Urteil des OLG Köln Berufung ein. Der BGH entschied kürzlich – Az. VI ZR 95/21 – dass die Berichterstattung von Anfang an rechtmäßig war und den Arzt nicht in seinen Rechten verletzt hat.

Es durfte in dem Artikel der Beruf des Arztes genannt werden. Bei den Verdachtsmomenten und der letztlich rechtskräftigen Verurteilung des Arztes ist eine Verbindung zwischen Verdacht und Beruf grundsätzlich möglich und zulässig.

BGH: Beruf durfte im Zuge der Berichterstattung genannt werden

Bei der Steuerhinterziehung handelte es sich laut BGH zum einen um eine gemeinschaftsschädliche Straftat zu Lasten der Bevölkerung. Zum anderen wird der Beruf des Arztes durchaus von der Bevölkerung als ein solcher angesehen, der einkommensstark ist. Deshalb ist der Arzt nach der allgemeinen Wahrnehmung kein typischer Täter für Betrugsstraftaten im Onlinehandel – das Volumen des Betrugs lag bei mehr als 2 Millionen Euro.

Für einen Arzt mit eigener Praxis in der Innenstadt einer Millionenstadt dürfte es außerdem nach allgemeiner Wahrnehmung nicht notwendig sein das Einkommen mit Betrugsstraftaten aufzubessern. Deshalb sei die Nennung des Berufs durchaus rechtmäßig, weil somit der Kontrast zwischen seinem hochgestellten und finanzstarken Beruf und der Straftat illustriert werde.

BGH: Identifizierbarkeit nur für „beschränkten Kreis“

Der BGH sah die Identifizierbarkeit zwar als grundsätzlich möglich an. Dies jedoch nur für einen beschränkten Kreis für z.B. Patienten, Freunden, Bekannten oder für andere Personen, die sich die Mühe machen würden anhand von Vorname, Alter und Beruf nach dem Arzt zu suchen. Doch liegt in dem Fall des Arztes ein Interesse an einer Berichterstattung vor, da es sich um einen besonderen Fall handele.

Darüber hinaus liegt überhaupt keine vereinfachte Identifizierbarkeit des Arztes vor, weil dies vermeintlich von Bekannten oder Patienten hätte erkannt werden können. Und selbst Patienten kennen nicht unbedingt Alter des Arztes und die Lage in der Kölner Innenstadt sei kein Merkmal um den Arzt leicht zu identifizieren.

Auch durch die gesellschaftlich herausgehobene Stellung als Arzt kann dies eine Berichterstattung erlauben. Ob aufgrund der Umstände nicht sogar eine Berichterstattung mit den vollen Nachnahmen des Arztes erlaubt gewesen wäre, lies der BGH offen.

BGH: Keine Stellungnahme des Angeklagten notwendig

Eine Stellungnahme des zur der Zeit der Berichterstattung noch angeklagten Arztes sei ebenso nicht notwendig gewesen. Solange nur über die Tatsachen und Umstände berichtet werde, die sich z.B. aus der Verlesung der Anklageschrift ergeben, handele es sich nicht um eine Verdachtsberichterstattung. Ein öffentlicher Gerichtsprozess sei vielmehr ein tagesaktuelles und öffentliches Ereignis. Eine Berichterstattung darüber fällt nicht mehr unter die Grundsätze der klassischen Verdachtsberichtserstattung.

Deshalb sei es auch nicht notwendig gewesen, dem Angeklagten eine Möglichkeit für eine Stellungnahme einzuräumen. Gerade aufgrund des tagesaktuellen Ereignisses muss ein Zuwarten für die Stellungnahme nicht eingeräumt werden. Müsste eine solche Möglichkeit gegeben und eine Frist gesetzt werden, würde dies die tagesaktuelle Berichterstattung erschweren oder sogar praktisch unmöglich machen.

Andererseits wäre es für den Angeklagten und seine Verteidiger immer möglich z.B. vor Medienvertretern ein Statement über die Vorwürfe, Verdachtsmomente oder den Prozesstag abzugeben.

Abwägung zugunsten der Pressefreiheit

Der BGH hatte bei seiner Entscheidung eine Abwägung zwischen den Persönlichkeitsrechten des angeklagten Arztes sowie dem Öffentlichkeitsinteresse und der Pressefreiheit abzuwägen. Die Abwägung fiel zugunsten der Pressefreiheit und dem Interesse der Öffentlichkeit an einer Berichterstattung aus. Damit hob der BGH die Urteile des LG Köln und des OLG Köln auf.

Die vorliegende Entscheidung des BGH – Urteil vom 31.05.2022, Az. VI ZR 95/21 – steht in einer Reihe von weiteren Urteilen, die der BGH kürzlich zu den Grenzen der Verdachtsberichterstattung entschieden hat. Dabei beschäftigte sich der BGH bereits kürzlich mit den Anforderungen an die Identifizierbarkeit hinsichtlich der Verdachtsberichterstattung (Urteil v. 16.11.2021, Az. VI ZR 1241/20) und der Nennung des vollen Nachnamens im Rahmen der Ermittlungen im Vorfeld eines Strafverfahrens (Urteil v. 22.02,2022, Az. VI ZR 1175/20).

Beratung zum Thema Strafrecht und Steuerrecht

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht und Steuerrecht Markus Bialobrzeski berät und vertritt in allen Stadien des Strafverfahrens und Steuerstrafverfahrens sowie in allen Fragen des Arbeitsrechts, des Steuerrechts und des Strafrechts. Sie erreichen Bialobrzeski Rechtsanwälte und Steuerberatung unter der Telefonnummer 0531 480 312 80 oder per E-Mail unter office@bialo19.de.