Die strafrechtliche Einordnung gefälschter Impfpässe

Zur Beurteilung der Strafbarkeit bzw. Straffreiheit bei gefälschten Impfpässen, die im Zuge der Covid-19 Pandemie vermehrt aufgekommen sind, herrschte unter deutschen Juristen Uneinigkeit. Nun hat sich der Bundesgerichtshof zu dieser Thematik geäußert und Klarheit hinsichtlich der rechtlichen Bewertung geschaffen.

In diesem Beitrag erklärt Markus Bialobrzeski, Anwalt aus Braunschweig mit Fachanwaltstiteln im Strafrecht, Steuerrecht und Arbeitsrecht, die neuesten Entwicklungen in der Sache.

Was war passiert?

Nachdem die Versorgung mit Impfstoffen im Jahr 2021 ausreichend gesichert war, wurden die Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Covid-19 Pandemie teilweise gelockert. Unter der Bedingung erfolgter Schutzimpfungen waren nun wieder Veranstaltungen in Innenräumen oder Gastronomiebesuche möglich. Gegen Nachweis eines positiven Impfstatus konnten sich Bürger in Apotheken hierfür ein digitales Impfzertifikat erstellen lassen.

Die Sehnsucht nach etwas Normalität brachte manchen auf die Idee, im eigenen Impfausweis Schutzimpfungen zu dokumentieren, welche tatsächlich nie stattgefunden hatten. Dies geschah entweder durch richtige Ärzte gegen Bezahlung oder weit überwiegend durch Privatpersonen unter Nutzung von Klebezetteln mit erfundenen Impfstoffchargennummern sowie der angeblichen Unterschrift eines Arztes. Einige Personen erkannten in der Vorgehensweise eine lukrative Einnahmequelle und vertrieben gefälschte Impfpässe gewerbsmäßig.

Wie ist die grundsätzliche Gesetzessystematik?

Die Ausnahme von Beschränkungen über den Fokus auf den Impfstatus diente dem Zweck den Geschäftsbetrieb in vielen Branchen wieder zu ermöglichen. Zeitgleich sollte das Ansteckungsrisiko möglichst geringgehalten werden, wobei eine Reproduktion von Viren im Körper und deren Weitergabe durch ungeimpfte Personen nun mal wahrscheinlicher ist als durch Geimpfte. Unabhängig von der persönlichen Einstellung zur Thematik Impfung und/oder Corona dürfte jedermann erkennen, dass das Umgehen allgemeiner Beschränkungen unter Verwendung unrichtiger Nachweise ein moralisches und rechtliches Störgefühl erzeugt.

Ein Störgefühl reicht jedoch für eine Eingriffsbefugnis des Staates nicht aus. Im deutschen Strafrecht gilt das sogenannte Gesetzlichkeitsprinzip nach der lateinischen Formel: „nullum crimen, nulla poena sine lege scripta, praevia, certa et stricta“ (zu deutsch: kein Verbrechen, keine Strafe ohne vorher schriftlich genau bestimmtes Gesetz).

Der Grundsatz wurde insofern in Art. 103 Absatz 2 des Grundgesetzes sowie im inhaltsgleichen § 1 des Strafgesetzbuches (StGB) fest verankert: „Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.“

Bestand eine Strafbarkeitslücke?

Ob das Gesetz das Fälschen von Impfpässen und das Vorlegen derselben als strafbare Handlung erfasste – und somit eine Ahndung unter Berücksichtigung des Gesetzlichkeitsprinzips möglich war -, war äußerst umstritten. Der Gesetzgeber reagierte auf den Meinungsstreit mit einer zügigen Gesetzesänderung: Mit Wirkung zum 24.11.2021 wurden die einschlägigen §§ 277 bis 279 StGB dergestalt geändert, dass seither die Strafbarkeit eines entsprechenden Verhaltens nicht mehr zweifelhaft ist. Dennoch ebbte die Diskussion nicht vollständig ab. Denn weiterhin stellte sich die Frage, wie mögliche Tathandlungen zu bewerten sind, die vor Geltung der Gesetzesänderung vorgenommen wurden.

Grundsätzlich stellt § 267 StGB das Verfälschen von Urkunden bzw. deren Gebrauch zur Täuschung im Rechtsverkehr unter Strafe. Der Strafrahmen beläuft sich je nach Schwere der Schuld auf Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren. Daneben sahen die §§ 277 bis 279 StGB alte Fassung (a. F.) eine Strafbarkeit für das Fälschen oder den Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften mit einer Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr (§§ 277, 279 a. F.) bzw. bis zu zwei Jahren (§ 278 a. F.) vor.

Es besteht Einigkeit darüber, dass Impfpässe Gesundheitszeugnisse im Sinne der Normen sind. Nun tritt ein weiteres juristisches Prinzip hinzu, wonach spezialgesetzliche Regelungen dem allgemeinen Recht vorgehen (lat.: lex specialis derogat legi generali). Die Frage, ob der vorgenannte Grundsatz zur Anwendung komme, führte zu unterschiedlichen Ansichten bei der Bewertung der Strafbarkeit in Bezug auf gefälschte Impfpässe.

Diese drei Meinungen standen sich gegenüber:

  • Nach Ansicht einiger Land- und Oberlandesgerichte stellten die §§ 277 bis 279 a. F. StGB abschließende Spezialregelungen zur „normalen“ Urkundenfälschung nach § 267 StGB dar und verdrängten diese. Da die Normen eine Strafe aber lediglich vorsahen, wenn die unrichtigen Gesundheitszeugnisse zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften, nicht aber von Privaten (z. B. Apotheken, Gastronomiebetrieben) bestimmt wären, sei das diskutierte Verhalten straflos. Gerade wegen der Privilegierung des geringeren Strafrahmens sei ein Rückgriff auf die Urkundenfälschung gesperrt.
  • Dem traten manche Kollegen entschieden entgegen. Sie argumentierten, dass entweder schon keine Sperrwirkung bestehe oder alternativ diese sich nicht entfalte, wenn der gesetzliche Tatbestand nicht erfüllt sei. Die Impfpässe waren gerade nicht zur Vorlage bei Behörden oder Versicherungsgesellschaften gedacht, weshalb die § 277 bis 279 StGB a. F. überhaupt nicht einschlägig sei, sondern nur eine Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung nach § 267 StGB in Betracht käme.
  • Eine kleine Gruppe von Juristen nahm dagegen zwar eine Sperrwirkung der §§ 277 bis 279 StGB a. F. gegenüber dem § 267 StGB an, ging dennoch von einem strafbaren Verhalten aus. Sie waren der Ansicht, dass die Problematik über eine weitere Norm zu lösen sei: die mittelbare Falschbeurkundung nach § 271 StGB. Hiernach sei durch die Vorlage gefälschter Impfpässe bei Apotheken zum Zwecke der Erstellung digitaler Impfzertifikate von einer Versuchsstrafbarkeit auszugehen.

Was sagt der Bundesgerichtshof?

In seinem aktuellen Urteil vom 10.11.2022 (Az.: 5 StR 283/22) positionierte sich der 5. Senat des Bundesgerichtshofs zu der aufgeworfenen Problematik. Der Senat rügt darin die Ansicht, welche von einer Sperrwirkung der §§ 277 bis 279 a. F. ausgeht, als rechtsfehlerhaft. Es handelte sich laut den Richtern bei den altgefassten Vorschriften keineswegs um Spezialvorschriften mit Privilegierungsintention zur Urkundenfälschung. Damit stellte der BGH klar, dass eine Bestrafung auch vor der Gesetzesänderung, also nach altem Recht möglich war und somit keine Strafbarkeitslücke bestand. Andere Ansichten ließen sich „weder dem Zweck noch dem systematischen Zusammenhang der miteinander konkurrierenden Bestimmungen oder dem Willen des Gesetzgebers entnehmen“, hieß es. Das Urteil ist bisher noch nicht veröffentlicht, weshalb die ausführliche Argumentation des erkennenden Senates abzuwarten bleibt.

Beratung zum Thema Strafbarkeit wegen gefälschter Impfpässe

Mit der Entscheidung des BGH dürfte nun der Streit zwischen den unterschiedlichen deutschen Strafgerichten entschieden sein. Unmittelbare Folge dürfte allerdings ein gesteigerter Verwaltungsaufwand für Gerichte und Ermittlungsbehörden infolge der Wiederaufnahme (vorläufig) eingestellter Verfahren sein.

Markus Bialobrzeski, Anwalt aus Braunschweig mit Fachanwaltstiteln im Strafrecht, Steuerrecht und Arbeitsrecht, berät und betreut Sie bei Fragen im Zusammenhang mit Impfpassfälschungen und Urkundenfälschung sowie bei allen weiteren Fragen des Strafrechts, des Steuerrechts und des Arbeitsrechts. Sie erreichen Bialobrzeski Rechtsanwälte und Steuerberatung unter der Telefonnummer 0531 480 312 80 oder per E-Mail unter office@bialo19.de oder direkt an unserem Kanzleisitz Neue Straße 20, 38100 Braunschweig.