Steuerstrafverfahren – Das Ermittlungsverfahren

Im Hinblick auf Zuständigkeiten sowie Befugnisse der Ermittlungsbehörden treten im Steuerstrafverfahren neben den allgemeingültigen Regeln des deutschen Strafrechts einige Sondervorschriften. Zweck sollen dabei eine gleichsam praxisorientierte und effektive Verfolgung und Ahndung von Steuervergehen sein.

In diesem Beitrag stellt Rechtsanwalt Markus Bialobrzeski aus Braunschweig, Fachanwalt für Steuerrecht, Strafrecht und Arbeitsrecht, das Steuerstrafverfahren mit seinen Besonderheiten in den Verfahrensabschnitten des Ermittlungsverfahrens dar.

Zuständigkeit zur Strafverfolgung

Im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist allein die Staatsanwaltschaft als „Herrin des Ermittlungsverfahrens“ mit der Strafverfolgung betraut. Im Rahmen Ihres Aufgabenkreises bedient sie sich etwaiger Hilfsorgane, zumeist den Beamten der Polizei. Im Steuerstrafverfahren ist das Ermittlungsmonopol durch § 386 AO eingeschränkt. Aus Gründen der Verfahrensökonomie nehmen im Steuerstrafrecht nämlich die Finanzbehörden die Aufgaben der Staatsanwaltschaft wahr, wobei deren Rechte wie auch Pflichten auf die Finanzbehörden übergehen.

Ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren wird dabei von den Finanzbehörden selbständig geführt; eine Bindung an Weisungen der Staatsanwaltschaft liegt nicht vor. Voraussetzung für ein eigenständiges Tätigwerdens ist gem. § 386 Absatz 2 AO, dass die verfolgte Tat

  • ausschließlich eine Steuerstraftat bzw. eine der Steuerstraftat gleichgestellte Tat (= sogenannte Analogtat) darstellt,
  • oder ein Kirchen- bzw. sonstiges Abgabenvergehen betrifft.

Die Staatsanwaltschaft bleibt in den übrigen Fällen für das Ermittlungsverfahren funktional zuständig. Sie kann allerdings ein Ermittlungsverfahren an sich reißen, wenn sie von der Finanzbehörde über dessen Komplexität oder besonderen Umfang unterrichtet wird. Eine Rückübertragung an die Finanzbehörde ist möglich.

Sachlich sind stets jene Finanzbehörden mit der Ermittlung betraut, die die betroffene Steuer verwalten. Dies sind im Grundsatz die Finanzämter und die Hauptzollämter. Innerhalb der Finanzämter sind die Ermittlungen organisatorisch den Straf- und Bußgeldstellen zugewiesen, welche insofern als eine Art „Steuerstaatsanwaltschaft“ betrachtet werden können. Sie bedienen sich bei durchzuführenden Ermittlungen ihrerseits Hilfsorgane, wie etwa die Steuerfahndung oder die Zollfahndungsämter. Diese, vereinfacht ausgedrückt Steuerpolizei, sind wiederum an die Weisungen der Finanzämter gebunden.

Das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren

Wie im normalen Strafverfahren gilt über § 385 AO auch im Steuerstrafverfahren das Legalitätsprinzip. Dieses besagt, dass die Ermittlungsbehörde zur Einleitung eines Strafverfahrens verpflichtet ist, wenn sie Tatsachen erfährt, die den Verdacht einer Steuerstraftat rechtfertigen. Es ist ein sogenannter Anfangsverdacht erforderlich („zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“, vgl. § 152 StPO), das heißt die gewisse Wahrscheinlichkeit einer Straftat. Eine bloße Vermutung des handelnden Beamten genügt hingegen nicht.

Das Steuerstrafverfahren gilt in dem Zeitpunkt als eingeleitet, in dem die Finanzbehörde (bzw. die Staatsanwaltschaft) eine Maßnahme getroffen hat, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer Steuerstraftat strafrechtlich vorzugehen. Mit Einleitung des Ermittlungsverfahrens wird der betroffene Steuerpflichtige zum Beschuldigten.

Die Befugnisse der ermittelnden Behörde

Die Straf- und Bußgeldstelle des Finanzamtes bzw. die Staatsanwaltschaft darf zur Sachverhaltserforschung Ermittlungen jeder Art selbst durchführen oder diese alternativ durch Hilfsorgane wie die Steuerfahndung durchführen lassen. Neben der Vernehmung des Beschuldigten und von Zeugen ist die Durchführung folgender Maßnahmen möglich:

  • Durchsuchung:

Sie ist zum Zwecke der Ergreifung des Verdächtigen oder zur Erlangung von Beweismitteln zulässig. Sie unterliegt grundsätzlich dem Richtervorbehalt, was bedeutet die Ermittlungsbehörde muss zunächst einen richterlichen Beschluss erwirken, der die Durchsuchung gestattet und deren genauen Umfang festlegt. Der Betroffene darf der Dursuchung beiwohnen, bei seiner Abwesenheit ist eine Ersatzperson als Zeuge beizuziehen.

  • Sichtung und Beschlagnahme von Gegenständen:

Um eine mögliche Beweisvernichtung zu verhindern, können Gegenstände (meist im Anschluss an eine Durchsuchung) sichergestellt werden, wenn sie als Beweismittel von Bedeutung sein können. Werden die Gegenstände nicht freiwillig in den Besitz der Behörde übergeben, können sie förmlich beschlagnahmt werden. Bestimmte Unterlagen wie z. B. Korrespondenz des Beschuldigten mit seinem Rechtsanwalt oder Steuerberater unterliegen einem Beschlagnahmeverbot. Bei Widerspruch gegen die nicht gerichtlich angeordnete Beschlagnahme ist sie binnen drei Tagen richterlich zu bestätigen.

  • Observation:

Der Beschuldigte kann zur Verfolgung von Steuerstraftaten observiert werden. Dauert eine Observation länger als 24 Stunden an beziehungsweise findet sie an mehr als zwei Tagen statt, hat die Ermittlungsbehörde einen richterlichen Beschluss einzuholen. Eine solche längerfristige Observation ist allerdings nur zulässig, wenn der Anfangsverdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung vorliegt und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise erheblich weniger erfolgsversprechend erscheint.

  • Telekommunikationsüberwachung:

Eine Telekommunikationsüberwachung ist nur bei bestimmten Steuerstraftaten zulässig und unterliegt streng dem Richtervorbehalt. Erforderlich ist der Verdacht eines banden- oder gewerbsmäßigen Vorgehens des Beschuldigten. Aufgrund der verbundenen erheblichen Grundrechtsbeeinträchtigung des Betroffenen ist diese Maßnahme ultima ratio, also nachrangig hinter anderen Ermittlungsmaßnahmen anzuwenden.

  • Herstellung von Lichtbildern, Bildaufzeichnungen für Observationszwecke und Einsatz sonstiger technischer Observationsmittel:

Wiederum eine ultima ratio Maßnahme, die unter Richtervorbehalt steht.

  • Vorläufige Festnahme:

Sofern die Voraussetzungen des Erlasses eines Haft- oder Unterbringungsbefehls vorliegen, ist eine vorläufige Festnahme durch die Ermittlungsbeamten möglich.

  • DNA-Feststellung:

In Einzelfällen soll auch bei Steuerstraftaten von erheblicher Bedeutung eine vom Gericht anzuordnende DNA-Feststellung in Betracht kommen.

  • Weitere Maßnahmen:

Daneben können, wiederum bei erheblichen Steuerstraftaten und nach richterlichem Beschluss, Maßnahmen wie die Rasterfahndung, der Einsatz verdeckter Ermittler und akustische Überwachung sowie die Erhebung sogenannter Verkehrsdaten, der Geräte- und Kartennummer bzw. des Standorts von Mobilfunkendgeräten getroffen werden.

Stellung des Betroffenen im Ermittlungsverfahren

Mit Einleitung des Ermittlungsverfahrens und Erlangung des Beschuldigtenstatus ändern sich die Mitwirkungsrechte und -pflichten des Steuerpflichtigen. Während er im Besteuerungsverfahren wegen der allgemeinen Mitwirkungspflicht aus § 90 Absatz 1 AO noch zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Offenlegung aller steuererheblichen Tatsachen verpflichtet ist, muss er im Steuerstrafverfahren zu seiner Überführung nichts mehr beitragen. Gem. § 393 Absatz 1 AO darf eine Mitwirkung auch im Besteuerungsverfahren nicht mehr erzwungen werden. Dahinter steht der Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“, zu deutsch: niemand darf gezwungen werden, sich selbst zu belasten.

Der Betroffene kann insofern im Ermittlungsverfahren theoretisch untätig bleiben. Einer Ladung hat er nur zwingend Folge zu leisten, sofern sie von einem Gericht, der Staatsanwaltschaft oder der an ihre Stelle getretenen Finanzbehörde (Straf- und Bußgeldstelle) stammt. Hilfsorgane können ein Erscheinen zu einer Vernehmung allerdings nicht erzwingen. Darüber hinaus kann sich ein Beschuldigter im Ermittlungsverfahren selbstverständlich verteidigen.

Dies kann durch Einwände und Beweisanträge oder durch Beauftragung eines Verteidigers geschehen. Eine Besonderheit im steuerstrafrechtlichen Verfahren ist, dass bei Verfahren ausschließlich vor den Finanzbehörden neben Rechtsanwälten auch die in § 392 AO genannten Berufsgruppen (u. a. Steuerberater und Wirtschaftsprüfer) die Verteidigung allein übernehmen können.

Neben dem grundsätzlichen Recht auf Gehör aus Art. 103 GG, stehen dem Beschuldigten und gegebenenfalls dessen Verteidiger noch bestimmte Anwesenheitsrechte – etwa bei Durchsuchungs- oder richterlichen Untersuchungshandlungen – zu.

Abschluss des Ermittlungsverfahrens

Das Ermittlungsverfahren wird durch Erhebung einer öffentlichen Klage bzw. durch Strafbefehlsantrag oder durch Einstellung abgeschlossen. Hierbei sind die eigenverantwortlichen Befugnisse der Finanzbehörde allerdings eingeschränkt. Hält sie die Voraussetzungen zur Erhebung einer öffentlichen Klage für gegeben, hat sie die Akten gem. § 400 AO an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten, damit diese über die Art des Verfahrensabschlusses entscheidet. Einen Strafbefehlsantrag kann die Finanzbehörde selbständig bei Gericht stellen.

Voraussetzung für öffentliche Klage und Strafbefehlsantrag ist das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts. Dieser liegt vor, wenn nach dem gesamten Akten Inhalt die Verurteilung des Beschuldigten mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Fehlt ein solcher hinreichender Tatverdacht, ist das Verfahren gem. § 170 Absatz 2 StPO einzustellen.

Es kommt auch eine Verfahrenseinstellung nach §§ 153, 153a StPO durch die Staatsanwaltschaft bzw. die Straf- und Bußgeldstelle in Betracht, wenn durch die Tat nur eine geringe Steuerverkürzung oder ein geringer Steuervorteil eingetreten ist. Im Falle des § 153a StPO erfolgt eine Einstellung unter Auflagen für den Beschuldigten.

Zuletzt besteht auch die Möglichkeit eines Absehens von der Strafverfolgung nach § 398a AO. Hiernach kann in den Fällen, in denen eine strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO ausgeschlossen ist (also, wenn die verkürzte Steuer einen Betrag von 25.000 Euro je Tat übersteigt), der Beschuldigte durch Zahlung des Hinterziehungsbetrags samt Zuschlag eine Verfahrenseinstellung erwirken. Ein Ermessen steht der Behörde nicht zu.

Beratung zum Thema Steuerstrafverfahren

Angesichts der Komplexität der Rechts- und Beweislage im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren muss Ziel eines jeden Betroffenen sein, das Verfahren schnellst- und bestmöglich zu einem Ende zu bringen. Ein gut organisiertes, taktisch ausgerichtetes Vorgehen ist dabei von höchster Bedeutung, wobei durch die Doppelfunktion der Finanzbehörde weitgehende Verständigungsmöglichkeiten für einen Verteidiger offenstehen. Die frühzeitige Beauftragung eines Rechtsanwalts und eine fachkundige Würdigung der Aktenlage erhöht Ihre Chancen im Ermittlungsverfahren ungemein.

Rechtsanwalt Markus Bialobrzeski aus Braunschweig, Fachanwalt für Steuerrecht, Strafrecht und Arbeitsrecht, berät Sie bei Fragen zum Steuerstrafrecht und steht Ihnen bei weiteren möglichen Fragen des Arbeits-, des Steuer- oder Strafrechts zur Seite. Sie erreichen Bialobrzeski Rechtsanwälte und Steuerberatung unter der Telefonnummer 0531 480 312 80 oder per E-Mail unter office@bialo19.de oder direkt an unserem Kanzleisitz Neue Straße 20, 38100 Braunschweig.