Whistleblower contra Hinweisgeber!

Neben der Frage, ob man Whistleblowing bestrafen oder belohnen will, lässt sich auch diskutieren auf welchen Ebenen Whistleblowing sinnvoll ist und einen Nutzen haben kann.

EU-Whistleblower-Richtlinie und das Hinweisgeberschutzgesetz

1. Einleitung

Mit dem Begriff Whistleblower werden allgemein Menschen bezeichnet, die für die Öffentlichkeit wichtige Informationen aus geheimen und geschützten Bereichen aufdecken. Dies ist allerdings kein Selbstzweck, denn mit der Aufdeckung solcher Informationen sollen z.B. Missstände, Gesetzesverstöße, illegales Handeln oder Unwahrheiten aufgedeckt werden.

Gerade wenn Staaten, deren Institutionen oder Geheimdienste in illegale Handlungen involviert sind, an den aufgedeckten oder aufzudeckenden Handlungen beteiligt sind, drohen den Hinweisgebern oft empfindliche Strafen, obwohl die „geleakten“ Informationen und Daten oft für die Weltöffentlichkeit elementar wichtig sein können. Julian Assange beispielsweise, der auf seiner Plattform WikiLeaks ab 2010 u.a. Videos von amerikanischen Militäreinsätzen in Afghanistan und im Irak veröffentlichte und somit mögliche Kriegsverbrechen öffentlich machte, drohen bei der nun möglichen und gerichtlich entschiedenen Abschiebung in die USA 175 Jahre Gefängnis. So absurd dieses Strafmaß ist, so hart würde eine solch überzogene Strafe die Pressefreiheit treffen und zukünftige Hinweisgeber vermeintlich davon abhalten überhaupt einen solchen Schritt zu wagen.

Dabei stammen die veröffentlichten Informationen nicht einmal von Assange selbst. Die eigentliche Hinweisgeberin war die IT-Spezialistin bei den US-Streitkräften, Bradley/Chelsea Manning, die die Daten an Assange zur Veröffentlichung übermittelte. Ihr Strafmaß wurde im Vorfeld des Prozesses auf 90 Jahre geschätzt. Noch 2013 forderte die Anklage ein Strafmaß von 60 Jahren. Schließlich befand ein amerikanisches Militärgericht Manning für schuldig und setzte das Strafmaß auf 35 Jahre und eine Geldstrafe von 100.000 $ fest. Manning wurde schließlich von Barack Obama 2017 begnadigt und verbüßte somit eine Haftstrafe von etwa 7 Jahren.

Auch Edward Snowden deckte mit seinem Handeln im Rahmen der Tätigkeit u.a. für die CIA illegales Handeln von Staaten und ihren Organisationen auf. Durch seine Hinweise wurde bekannt, dass sowohl die USA als auch Großbritannien geheime Programme betreiben, um die weltweite Internetkommunikation zu überwachen. Nach der Veröffentlichung dieser Daten floh Snowden aus den USA u.a. nach Honkong und lebte mehrere Monate auf einem internationalen Flughafen in Moskau, bevor er in Russland Asyl fand. Vor der Weitergabe geheimer Daten 2013 lebte Snowden u.a. in Hawaii und bezeichnet sein Leben selbst als „sehr komfortabel“.

Allein diese wenigen Fälle zeigen bereits auf, dass Whistleblower zwar wichtige Informationen liefern können, um illegale Handlungen und sogar Kriegsverbrechen aufzuzeigen, doch andererseits ist die Frage, zu welchem Preis geschieht dies für die Whistleblower? Die Gefahren, Entbehrungen und Strafen für Whistleblower sind z.T. hoch und gerade in Amerika oft so hoch, dass Whistleblowern ihr gesamtes weiteres Leben im Gefängnis verbringen werden müssen.

Geheimnisverrat

2. Hinweisgeber und dadurch ermöglichte Strafverfolgung

Während die Fälle um Assange, Manning und Snowden zeigen, dass mit Whistleblowing illegales staatliches Handeln aufgedeckt wurde, reagierten Staaten hierauf mit teilweise absurden Strafandrohungen und im Falle Mannings auch mit einer Verurteilung zu einer langen Haftstrafe.

Auch wenn man nun denken könnte, dass Whistleblower grundsätzlich ein Ärgernis sein können, arbeiten auch Staaten mit Whistleblowern zusammen, wenn es um die Strafverfolgung geht. Nicht zuletzt Deutschland bzw. einige Bundesländern wie NRW kauften in der Vergangenheit sog. Steuer-CDs an. Auf diesen CDs befanden sich Kundendaten ausländischer Banken mit denen deutsche Strafverfolgungsbehörden Ermittlungen wegen u.a. Steuerhinterziehung gegen deutsche Einleger bei diesen Banken möglich wurden. Letztlich wurden die Kundendaten von Whistleblowern bei den betroffenen Banken entwendet und dann den deutschen Behörden, aber auch Plattformen wie WikiLeaks, zum Kauf angeboten.

Bradley Birkenfeld ist ein amerikanischer Banker, der 2007 an das amerikanische Justizministerium Informationen über Steuerstraftaten amerikanischer Bürger weitergab. Birkenfeld arbeitete bei der Schweizer Großbank UBS und war u.a. dafür zuständig amerikanische Bürger davon zu überzeugen ihre Guthaben an die Schweizer Bank zu transferieren, um in Amerika keine Steuern zahlen zu müssen. Zwar existierten zu dieser Zeit bereits Gesetze, die ein solches Whistleblowing grundsätzlich nicht unter Strafe stellten und eine Immunität bewirkten, jedoch war dies im Falle von Birkenfeld nicht möglich bzw. wurde dies abgelehnt. 2009 wurde Birkenfeld dann von einem Gericht in Amerika zu 40 Monaten Gefängnis verurteilt.

Neben der Immunität vor einer Strafverfolgung sah das Gesetz, auf das sich Birkenfeld berufen hat, auch eine Art Belohnung für das Whistleblowing vor. 2012 erhielt Birkenfeld für sein Whistleblowing etwa 104 Millionen $ durch den IRS (Internal Revenue Service = Bundessteuerbehörde der USA).

Auch in Hinblick auf Birkenfelds Whistleblowing, welches dazu führte, dass die zuständigen Stellen der USA überhaupt den massiven Steuerbetrug durch die Bank aufdecken, hinterzogene Steuern eintreiben konnte und diese Steuerbetrügereien überhaupt erst erkennen und zusammenfügen konnten, stellt sich die Frage, ob Whistleblowing strafbewährt sein muss oder ob der Staat die Hinweise, die z.B. zu einem Zufluss an hinterzogenen Steuern führt, belohnen sollte.

Whistleblower schweigen

3. Whistleblowing nur im staatlichen Kontext?

Neben der Frage, ob man Whistleblowing bestrafen oder belohnen will, lässt sich auch diskutieren auf welchen Ebenen Whistleblowing sinnvoll ist und einen Nutzen haben kann. Die dargestellten Fälle von Assange, Manning, Snowden und Birkenfeld haben gemein, dass sich das Whistleblowing oft gegen Akteure wie Staaten und deren Handeln richtet oder der Staat als Akteur mittelbar betroffen ist, weil z.B. Straftaten mit Wirkung gegen den Staat aufgedeckt werden (Steuerhinterziehung beispielsweise). Somit lässt sich die Frage stellen, ob Whistleblowing vielleicht nur dann vertretbar sein soll, wenn staatliches Handeln aufgedeckt werden soll oder staatliche Interessen betroffen sind.

Die Antwort lautet ganz klar nein. Whistleblowing bzw. Hinweisgebersysteme sind nämlich auch im unternehmerischen Alltag probate Mittel auf die Einhaltung z.B. gesetzlicher Vorschriften hinzuwirken. Gerade im Bereich der Compliance von Unternehmen sind Hinweisgebersysteme wirksame Methoden um die Einhaltung z.B. rechtlicher Regelung oder eigener Verhaltenskodizies umzusetzen.

Während Compliance in den Unternehmen der 2000er Jahre in Deutschland eher eine untergeordnete Rolle spielte und nur sehr begrenzt vor ethnisch, moralisch und rechtlich besonders verpönten Handlungen wie Terrorismusfinanzierung, fehlender Produktsicherheit (z.B. im Pharma-Sektor) und Geldwäsche bewahren sollte, kamen nur langsam auch weitere Mechanismen gegen strafrechtlich relevante – und meist wegen tagesaktuellen Ereignissen motivierte – Tatkomplexe hinzu – etwa die Korruption oder die Lebensmittelsicherheit.

Doch in den letzten Jahren wird von Unternehmen auch in einem ganzheitlichen Bereich die Einhaltung von rechtlichen Regelungen und selbst gesetzten Verhaltenskodexen (Code of conduct) gefordert, was nicht zuletzt auch an dem Diskurs zu ethnisch-moralischen Aspekten der Unternehmensführung, dem Selbstverständnis der Unternehmen und auch einer gewissen Unternehmensethik liegt wie auch der medialen Präsenz.

Während es z.B. zu Zeiten von Daniel Ellsberg, der 1971 mit den Pentagon-Papieren streng geheime Studien des US-Verteidigungsministeriums u.a. zu den Gründen des Scheiterns des Vietnam-Kriegs veröffentlicht hat, noch darum ging durch Whistleblowing staatliches Handeln anzuprangern – gleiches gilt im Grunde auch für Assange, Manning und Snowden – und die Presse mit diesen Informationen zu bedienen, funktionieren Hinweisgebersysteme auch im „kleineren“ und deutlich weniger gravierenden Bereichen wie Firmen und Unternehmen. Zwar kann der Imageschaden bei öffentlichem Bekanntwerden von Verfehlungen in Unternehmen durchaus schwerwiegende Folgen für z.B. die Zusammenarbeit mit Kunden und damit das wirtschaftliche Fortbestehen von Unternehmen haben, jedoch dürften dies Extrembeispiele sein.

Dennoch können das Handeln einzelner Mitarbeiter und der Verstoß gegen rechtliche und selbst gesetzte Regeln eben zu den genannten Imageschäden führen und daneben auch zu strafrechtlichen Konsequenzen für die Unternehmen, wenn die Zielrichtung der verbotenen Handlungen z.B. gegen das Unternehmen wirkt und nicht nur den Eigeninteressen der betroffenen Mitarbeiter dient – Diebstähle gegen das Unternehmen wirken nur gegen den einzelnen Täter; wenn ein Mitarbeiter jedoch stetig Schmiergelder annimmt oder verteilt, können die Folgen dieser Korruption fraglos gegen das Unternehmen wirken – medial, strafrechtlich und wirtschaftlich.

Somit ist Whistleblowing kein Phänomen, welches nur im staatlichen Kontext vorkommt. Gerade die Nutzung von Hinweisgebersystemen, wird im Falle von wirtschaftlichen Unternehmen und dem Konzept der Compliance als Mittel zum Zweck genutzt und soll sicherstellen, dass geltendes Recht und Verhaltenskodizies eingehalten werden.

Whistleblower

4. Hinweisgebersysteme

Soweit sich die Verbreitung und Nutzung von Compliance von einem eher passiven und sehr begrenzten Anwendungsbereich mehrheitlich zu einem aktiven und ganzheitlichen Bereich entwickelt hat, so sind auch die Anforderungen an Hinweisgebersysteme gestiegen. Während es trotz Compliance-Bemühungen in der Vergangenheit den Hinweisgebern praktisch selbst überlassen war, wie sie ihre Hinweise an welche Stelle schicken, sollten Hinweisgebersysteme aktuell niedrigschwellig und einfach zu erreichen sein.

Auf folgende Überlegungen sei dabei hingewiesen:

  • Art der Übermittlung: Zwar können Hinweisgeber immer zu Stift und Papier greifen und ihre Hinweise per Brief übermitteln. Problematisch erscheint dabei aber die Frage, wie sehr man Briefe themenbezogen eingrenzen kann und wie man die Vervielfältigung von Briefen und datenschutzrechtliche Aspekte sicherstellen kann. Außerdem kann der Hinweisgeber zwar bei Briefen anonym bleiben, jedoch schließt sich somit die Möglichkeit der Rückfragen und des Dialogs mit dem Hinweisgeber über die Meldungen vollkommen aus.
    Besser geeignet scheinen hier elektronische Systeme. Diese können beispielsweise trotz Anonymität eine gewisse Dialogfähigkeit sicherstellen, in dem es sich z.B. um Postfach-Systeme handelt. Dabei müssen jedoch Sicherheitsaspekte i.S.v. Vertraulichkeit, Verschlüsselung und Datensicherheit beachtet werden.
    Auch Systeme, die auf Telefonanrufen basieren, etwa durch Hotlines oder Mailboxen/Anrufbeantworter, haben meist das Problem der fehlenden Möglichkeit des Dialogs. Bei Hotlines kommt hinzu, dass eine Abdeckung von mehreren Sprachen kaum oder nur mit sehr großen Personalaufwand möglich sind.
  • Empfänger von Hinweisen: Empfänger von Hinweisen müssen klar benannt sein. Bereits das Beispiel der Übersendung eines Briefes zeigt zwar, dass man sich grundsätzlich immer mit Hinweisen an sein Unternehmen wenden kann, doch wenn keine entsprechende Stelle für Hinweise existiert, dürfte es für Hinweisgeber schwer sein und mehrheitlich vom Zufall abhängen wohin der Hinweis gerät und ob sich die betreffende Abteilung auch mit den Hinweis beschäftigt.
    Dazu kommt, dass eine gewisse Erreichbar- und Verfügbarkeit gegeben sein muss. Meist stehen Hinweisgeber unter einem gewissen Druck und es gibt nur ein geringes Zeitfenster den Hinweis auch weiterzugeben oder weitergeben zu wollen. Wenn dies durch eine zu hohe Hemmschwelle angeheizt wird, etwa durch fehlende Erreichbarkeit oder eine fehlende Existenz der Abteilungen oder internen wie externen Stellen, die Hinweis entgegennehmen und bearbeiten, fehlt, entschließen sich Hinweisgeber eventuell doch ihre Hinweise weiter für sich zu behalten.
    Nicht zuletzt erscheinen auch Ombudspersonen – z.B. in Form von Anwälten – als mögliche Empfänger von Hinweisen gut geeignet. Hier wird eine gewisse Distanz, auch eventuell örtlich, der anwaltlichen Ombudspersonen zum Unternehmen ermöglicht. Dabei können Ombudspersonen falsche Verdächtigungen und irrelevante Meldungen genauso herausfiltern, wie besonders wichtige Hinweise, die dann zur sofortigen Weiterleitungen der Meldungen führen.
  • Anonymität der Hinweisgeber: Für Hinweisgeber kann es von äußerster Wichtigkeit sein ihre Anonymität zu gewährleisten. Dies liegt vor allem daran, dass Hinweisgeber zum einen arbeitsrechtliche Konsequenzen fürchten, aber auch fürchten diskriminiert oder bei Beförderungen nicht berücksichtigt zu werden oder auch sozialem Druck und Mobbing ausgesetzt zu sein. Soweit man diese Punkte auch nachvollziehen kann, so sehr birgt dies für die Unternehmen Probleme. Problematisch ist dies, weil damit jede Dialogfähigkeit und Nachfragen ausgeschlossen sind. Durch den Druck, den Hinweisgeber meist ausgesetzt sind, werden aber bei den Meldungen möglicherweise wichtige Details vergessen und unwichtige Details stattdessen gemeldet. Eine Nachfragemöglichkeit kann aber auch durch Nutzung der angesprochenen Postfach-Systeme im elektronischen Meldesysteme implementiert sein oder werden.
    Entscheidet man sich allerdings für Hinweisgeber-Systeme, die nicht anonym sind, dann wird man einerseits nicht alle Hinweisgeber erreichen, da die Hemmschwelle einer nicht-anonymen Lösung deutlich höher liegt, und muss andererseits auch deren absolute Vertraulichkeit institutionell, technisch und rechtlich sicherstellen.
Hinweisgeber

5. Hinweisgeberschutz und Hinweisgebersysteme

Spricht man über Whistleblowing und Hinweisgebersysteme, so sind dies zwei unterschiedliche Begriffe. Das Whistleblowing kann zwar als Überbegriff verstanden werden, unterscheidet sich jedoch von Hinweisgebersystemen. Während man z.B. an Manning und Snowden sieht, dass diese ihre Informationen und Daten zur Veröffentlichung an die Presse bzw. Enthüllungsplattformen gegeben haben, so hing ihr Verhalten prinzipiell mit mehr oder minder zivilem Ungehorsam zusammen.

Whistleblower wollen zwar – genauso wie Hinweisgeber – ein bestimmtes Verhalten anprangern oder öffentlich machen, jedoch gehen sie dabei bestimmte Risiken bewusst ein und setzen sich einer möglichen Strafverfolgung aus. Nur unter sehr engen Grenzen und in wenigen Staaten gibt es überhaupt Schutz für Whistleblowing in gesetzlicher Form.

Hinweisgeber wollen zwar genauso ein bestimmtes Verhalten anprangern, jedoch geschieht dies – auch im Kontext der EU-Richtlinie und der Umsetzung in nationales Recht – mehrheitlich um das anzuprangernde Verhalten dort mitzuteilen, wo dagegen effektiv vorgegangen werden kann – dies kann durchaus auch im eigenen Unternehmen der Fall sein. Eine grundsätzliche Veröffentlichung der Hinweise und Informationen und Daten von Hinweisgeber ist meist nicht vorgesehen oder nur „ultima ratio“.

Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass Whistleblower wie Snowden, Manning oder Assange einer massiven Strafverfolgung ausgesetzt sind. Zwar ist dies auch systemimmanent, da sie keinen Schutz von dem staatlichen Regime erwarten konnten, dessen Fehlverhalten sie anprangern. Jedoch soll dies und muss dies bei Hinweisgebern in Unternehmen oder Behörden grundsätzlich anders gesehen werden, da sie ihre Hinweise ja als Teil der Compliance und somit „guter“ Unternehmensführung bzw. Corporate Governance an die zuständigen Abteilungen oder stellen weitergeben sollen.

6. Whistleblowing in Deutschland: Hinweisgeberschutzsysteme und Gesetzesinitiativen

Einen allgemeinen Schutz des Hinweisgebens enthält das deutsche Rechtssystem bisher nicht. Da die Hinweisgeber meist in ihrer Stellung als Arbeitnehmer Hinweise geben, lässt sich jedoch für den Bereich der Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnlichen Bereich § 612a BGB als einen gewissen Schutz vor einer arbeitsrechtlichen Maßregelung sehen.

Beispielsweise hat das Bundesverfassungsgericht 2001 (1 BvR 2049/00) in einem Beschluss die fristlose Kündigung eines Arbeitnehmers für verfassungswidrig gehalten, der in einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegenüber Aussagen getätigt und nach deren Aufforderung Unterlagen übergeben hat. Der in diesem Strafverfahren beschuldigte Arbeitgeber, kündigte den Arbeitnehmer daraufhin fristlos. Das BVerfG gab dem Arbeitnehmer Recht, da es mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar ist, wenn derjenige, der die ihm auferlegten staatsbürgerlichen Pflichten erfüllt und nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben macht, dadurch zivilrechtliche Nachteile erleidet. Das vorher befasste Landesarbeitsgericht Hamm sah die ausgesprochene Kündigung als wirksam an, woraufhin der Arbeitnehmer Verfassungsbeschwerde einlegte.

Auch das Bundesarbeitsgericht hat sich bereits mit Whistleblower/Hinweisgeber-Fällen beschäftigt. Auch dabei wird immer wieder darauf hingewiesen und geurteilt, dass wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben oder die Motivation dem Arbeitgeber zu schaden durchaus im Kontext der Hinweisgebung einen Kündigungsgrund darstellen können. Denn in solchen Fällen liegt gem. § 626 BGB ein sog. wichtiger Grund vor, der eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann. Ebenso kann das Whistleblowing dann nicht geschützt sein – auch nicht nach § 612a BGB, wenn z.B. einer strafrechtlichen Anzeige eine fehlende Berechtigung zugrunde liegt, eine nicht billigenswerte Motivation zugrunde liegt oder wegen unterlassener innerbetrieblicher Abhilfebemühungen. Allerdings dürfen dabei die Abhilfebemühungen weder unzumutbar sein oder wenn sich der Arbeitnehmer bei unterlassener Hinweisgebung sogar selbst strafbar machen würde.

Nach der aktuellen Rechtslage liegt das Whistleblowing damit zwischen einem Verstoß gegen die Rücksichtnahme- und Verschwiegenheitsobliegenheiten und der damit verbundenen Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung sowie dem nur dann greifenden Schutz nach § 612a BGB, wenn keine innerbetrieblichen Abhilfebemühungen zumutbar sind oder das Schweigen eine eigene Strafbarkeit des Arbeitnehmers bedingen kann.

Es bleibt Arbeitnehmern, die einen Hinweis geben wollen, also nur den eigenen Arbeitsplatz zu riskieren bzw. auch zu verlieren oder durch den Schutz des Maßregelungsverbots nach § 612a BGB vor einer Kündigung faktisch geschützt zu werden. Faktisch deshalb, weil auch eine ungesetzliche Maßregelung in Form einer Kündigung nicht immer vor einer deshalb unberechtigten Kündigung schützt. Wenn nämlich z.B. das Arbeitsverhältnis zerrüttet ist oder eine Zusammenarbeit unmöglich erscheint, dann kann – von Seiten des Arbeitnehmers wie auch des Arbeitgebers – ein sog. Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) gestellt werden. Dann wäre zwar die Kündigung immer noch ungesetzlich und würde gegen § 612a BGB verstoßen, der Arbeitnehmer hätte theoretisch auch den Anspruch weiterbeschäftigt zu werden, jedoch würde das Arbeitsverhältnis gegen eine relativ geringe und von der Länge der Betriebszugehörigkeit abhängige Abfindung gerichtlich aufgelöst werden.

Der Arbeitnehmer hat also die Wahl zwischen einer berechtigten Kündigung oder einer unberechtigten Kündigung, die trotzdem zum Verlust des Arbeitsplatzes führen kann. Hinweisgeberschutz ist damit aktuell kaum bis gar nicht allgemein in Deutschland arbeitsrechtlich vorhanden.

Allerdings gibt es branchen- und sparten-spezifische Ausnahmen.

a) bereits bestehende Branchen-/Sparten-Regelungen

Entsprechende branchen- oder spartenspezifische Regelungen über die Einrichtung von Hinweisgebersystemen existieren z.B. in:

  • § 6 Absatz 5, § 53 Geldwäschegesetz
  • § 25a Absatz 1 Satz 6 Nummer 3 Kreditwesengesetz
  • § 58, § 59, § 60 Wertpapierhandelsgesetz
  • § 23 Absatz 6 Versicherungsaufsichtsgesetz
  • § 28 Absatz 1 Satz 2 Nummer 9 Kapitalanlagegesetzbuch
  • § 3b Börsengesetz
  • § 55b Absatz 2 Nummer 7 der Wirtschaftsprüferordnung

Beispielsweise sehen die Regelung wie folgt aus:

aa) VAG

§ 23 Abs. 6 Versicherungsaufsichtsgesetz – VAG:

[…]

Die Unternehmen haben einen Prozess vorzusehen, der es den Mitarbeitern unter Wahrung der Vertraulichkeit ihrer Identität ermöglicht, potenzielle oder tatsächliche Verstöße

1. gegen dieses Gesetz,

2. gegen auf Grund dieses Gesetzes erlassene Rechtsverordnungen,

3. gegen die Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission (ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 1),

4. gegen die Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (PRIIP) (ABl. L 352 vom 9.12.2014, S. 1, L 358 vom 13.12.2014, S. 50) in der jeweils geltenden Fassung

sowie etwaige strafbare Handlungen innerhalb des Unternehmens an eine geeignete Stelle zu melden.

bb) KWG

§ 25a Absatz 1 Satz 3 Nr. 3 Kreditwesengesetz – KWG: Die Ausgestaltung des Risikomanagements hängt von Art, Umfang, Komplexität und Risikogehalt der Geschäftstätigkeit ab. Seine Angemessenheit und Wirksamkeit ist vom Institut regelmäßig zu überprüfen. Eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation umfasst darüber hinaus

[…]

3. einen Prozess, der es den Mitarbeitern unter Wahrung der Vertraulichkeit ihrer Identität ermöglicht, Verstöße gegen die Verordnung (EU) Nr. 575/2013, die Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission (ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 1; L 287 vom 21.10.2016, S. 320; L 306 vom 15.11.2016, S. 43; L 348 vom 21.12.2016, S. 83), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2016/1033 (ABl. L 175 vom 30.6.2016, S. 1) geändert worden ist, die Verordnung (EU) Nr. 600/2014, die Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 oder die Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/EG (ABl. L 168 vom 30.6.2017, S. 12) oder gegen dieses Gesetz oder gegen die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen oder gegen das Wertpapierhandelsgesetz oder gegen die auf Grund des Wertpapierhandelsgesetzes erlassenen Rechtsverordnungen sowie etwaige strafbare Handlungen innerhalb des Unternehmens an geeignete Stellen zu berichten..

cc) GwG

§ 6, Absatz 5 Geldwäschegesetz – GwG: Die Verpflichteten haben im Hinblick auf ihre Art und Größe angemessene Vorkehrungen zu treffen, damit es ihren Mitarbeitern und Personen in einer vergleichbaren Position unter Wahrung der Vertraulichkeit ihrer Identität möglich ist, Verstöße gegen geldwäscherechtliche Vorschriften geeigneten Stellen zu berichten.

§ 53 Geldwäschegesetz – GwG:

Absatz 1

Die Aufsichtsbehörden errichten ein System zur Annahme von Hinweisen zu potenziellen oder tatsächlichen Verstößen gegen dieses Gesetz und gegen auf Grundlage dieses Gesetzes erlassene Rechtsverordnungen und gegen andere Bestimmungen zur Verhinderung von Geldwäsche und von Terrorismusfinanzierung, bei denen es die Aufgabe der Aufsichtsbehörde ist, die Einhaltung der genannten Rechtsvorschriften sicherzustellen oder Verstöße gegen die genannten Rechtsvorschriften zu ahnden. Das System hat die Abgabe von Hinweisen über einen geschützten Kommunikationsweg zu ermöglichen. Die Hinweise können auch anonym abgegeben werden.

[…]

Absatz 5

Mitarbeiter, die bei Unternehmen und Personen beschäftigt sind, die von den zuständigen Aufsichtsbehörden nach Absatz 1 beaufsichtigt werden, oder bei anderen Unternehmen oder Personen beschäftigt sind, auf die Tätigkeiten von beaufsichtigten Unternehmen oder Personen ausgelagert wurden, und die einen Hinweis nach Absatz 1 abgeben, dürfen wegen dieses Hinweises weder nach arbeitsrechtlichen oder nach strafrechtlichen Vorschriften verantwortlich gemacht noch zum Ersatz von Schäden herangezogen oder anderweitig benachteiligt werden. Satz 1 gilt nicht, wenn der Hinweis vorsätzlich unwahr oder grob fahrlässig unwahr abgegeben worden ist.

[…]

Interessant ist, dass die meisten der genannten Gesetze zwar eine Pflicht vorsehen, dass Hinweisgebersysteme vorzuhalten und einzurichten sind, jedoch nicht, dass die Hinweisgeber allgemein bei einer Meldung vor Nachteilen geschützt werden. Der einzige Schutz bleibt die „Wahrung der Vertraulichkeit ihrer Identität“.

Zumindest aber enthält § 53 Abs. 5 GwG eine Schutzvorschrift für Arbeitnehmer, die Meldungen nach dem GwG an die zuständigen Aufsichtsbehörden weitergeben und schützen diese faktisch vor arbeitsrechtlichen oder strafrechtlichen Maßnahmen. Allerdings nur bei externen Meldungen.

Geheimnisverrat

b) Gesetzesinitiativen

aa) 2006

Erste nicht-staatliche Initiativen für die Einführung von eher halbherzigen Hinweisgeber-Systemen sind in einem Diskussionsentwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes aus dem August 2006 erkennbar. Dieser wurde von den beiden Professoren Martin Henssler und Ulrich Preis erarbeitet:

§ 78 Arbeitsvertragsgesetz: Abhilfe bei drohenden Schäden und Gesetzesverstößen

(1) Drohen Menschen, Sachwerten oder der Umwelt aus dem Betrieb Schäden oder werden Strafgesetze oder Arbeitsschutzverschriften verletzt, so hat der Arbeitnehmer den Arbeitgeber vor der Einschaltung der zuständigen außerbetrieblichen Stellen zur Abhilfe aufzufordern. Kommt der Arbeitgeber der Aufforderung nicht nach, so kann sich der Arbeitnehmer an die zuständigen Stellen wenden.

(2) Der Arbeitnehmer darf sich unmittelbar an die zuständigen außerbetrieblichen Stellen wenden, wenn

a) dem Arbeitnehmer, Menschen, Sachwerten oder der Umwelt unverhaltnismäßige Nachteile drohen,

b) der Arbeitgeber selbst eine Straftat begangen hat oder

e) eine Aufforderung nicht oder nicht rechtzeitig zur Abhilfe führen würde.

Quelle: Diskussionsentwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes (Seite 45/46)

Einen tatsächlichen Schutz vor Nachteilen bietet aber auch dieser Entwurf nicht.

bb) 2008

Erste staatliche Initiativen einen Hinweisgeberschutz gesetzlich einzuführen, gab es im Jahr 2008. Angeregt durch den Skandal um verdorbenes Fleisch (Gammelfleisch) haben die Bundesministerien für Arbeit und Soziales, für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie das Bundesjustizministerium am 30.04.2008 einen gemeinsamen Vorschlag für einen neuen § 612a BGB eingebracht. Dieser lautete:

§ 612a BGB Anzeigerecht

(1) Ist ein Arbeitnehmer auf Grund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung, dass im Betrieb oder bei der betrieblichen Tätigkeit gesetzliche Pflichten verletzt werden, kann er sich an den Arbeitgeber oder eine zur innerbetrieblichen Klärung zuständige Stelle wenden und Abhilfe verlangen. Kommt der Arbeitgeber dem Verlangen nach Abhilfe nicht oder nicht ausreichend nach, hat der Arbeitnehmer das Recht, sich an eine zuständige außerbetriebliche Stelle zu wenden.

(2) Ein vorheriges Verlangen nach Abhilfe ist nicht erforderlich, wenn dies dem Arbeitnehmer nicht zumutbar ist. Unzumutbar ist ein solches Verlangen stets, wenn der Arbeitnehmer auf Grund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung ist, dass

aus dem Betrieb eine unmittelbare Gefahr für Leben oder Gesundheit von Menschen oder für die Umwelt droht;

der Arbeitgeber oder ein anderer Arbeitnehmer eine Straftat begangen hat;

eine Straftat geplant ist, durch deren Nichtanzeige er sich selbst der Strafverfolgung aussetzen würde;

eine innerbetriebliche Abhilfe nicht oder nicht ausreichend erfolgen wird.

(3) Von den Absätzen 1 und 2 kann nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden.

(4) Beschwerderechte des Arbeitnehmers nach anderen Rechtsvorschriften und die Rechte der Arbeitnehmervertretungen bleiben unberührt.

Der aktuelle § 612a BGB sollte als „neuer“ § 612b BGB weitergelten. Hätte der Arbeitnehmer das Recht aus § 612a BGB n.F. wahrgenommen, so wäre er durch § 612b BGB n.F. vor Benachteiligungen durch den Arbeitgeber geschützt gewesen.

cc) 2011

In einem Entschließungsantrag der Bundesländer Berlin und Hamburg sollte sich der Bundesrat mit einer gesetzlichen Verankerung des Informantenschutzes für Arbeitnehmer im BGB beschäftigen. Dies sollte ebenfalls mit einem neuen § 612b BGB geschehen, zu dem ein Entwurf allerdings nicht vorlag (BR-Drucksache 534/11). Der Entschließung wurde in der 888. Sitzung am 14.10.2011 nicht zugestimmt.

Quellen: 1. https://dserver.bundestag.de/brd/2011/0534-11.pdf

2. Bundesrat, 888.Sitzung (Blatt 485, Seite 21, Tagesordnungspunkt 15).

dd) 2012

2012 legte die SPD-Bundestagsfraktion einen entsprechenden Vorschlag für ein Hinweisgeberschutzgesetz (HinwGebSchG) vor. Das Gesetz sollte eigenständig die Rechte und Schutzvorschriften für Hinweisgeber regeln.

Der Entwurf des Gesetzes findet sich in BT-Drucksache 17/8567.

Quelle: https://dserver.bundestag.de/btd/17/085/1708567.pdf

Als Gegenvorschlag erarbeitete die Fraktion der Grünen ein Whistleblower-Schutzgesetz und brachte dies mehrere Monate später in den Bundestag ein. Dieser Entwurf sah u.a. vor, ähnlich wie der Vorschlag aus 2008, den Schutz der Hinweisgeber im Bereich des § 612a BGB anzusiedeln, nur dieses Mal als neuer § 612b BGB. § 612a BGB hätte dazu einen entsprechenden zweiten Absatz bekommen.

Der Vorschlag lautete:

§ 612a Absatz 2 BGB-E

Sofern ein Arbeitnehmer Tatsachen glaubhaft macht, die eine Benachteiligung wegen zulässiger Ausübung seiner Rechte erkennbar werden lassen, trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen Absatz 1 vorliegt.“

§ 612b BGB-E

Anzeigerecht

(1) Ist ein Arbeitnehmer aufgrund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung, dass im Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit rechtliche Pflichten verletzt werden oder eine solche Verletzung droht und hat er sich entschlossen, hierauf hinzuweisen, hat er sich zuerst an den Arbeitgeber oder eine zur innerbetrieblichen Klärung zuständige Stelle zu wenden.

(2) Der Arbeitnehmer hat das Recht, sich an eine zuständige außerbetriebliche Stelle zu wenden, wenn der Arbeitgeber dem Verlangen nach Abhilfe nicht binnen angemessener Frist oder nach Auffassung des Arbeitnehmers aufgrund konkreter Anhaltspunkte nicht oder nicht ausreichend nachkommt. Eines vorherigen Abhilfeverlangens bedarf es nicht, wenn dies dem Arbeitnehmer nicht zumutbar ist. Unzumutbar ist ein solches

Verlangen insbesondere, wenn der Arbeitnehmer aufgrund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung ist, dass

1. im Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit eine gegenwärtige Gefahr für Leben, Körper, Gesundheit, Persönlichkeitsrecht, Freiheit der Person, Stabilität des Finanzsystems oder Umwelt droht,

2. im Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit eine Straftat begangen worden ist,

3. eine Straftat geplant ist, durch deren Nichtanzeige der Arbeitnehmer sich selbst der Strafverfolgung aussetzen würde, oder

4. eine innerbetriebliche Abhilfe nicht oder nicht ausreichend erfolgen wird.

Im Fall des Satzes 3 Nummer 2 trägt der Arbeitnehmer nicht die Beweislast dafür, dass er aufgrund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung war, dass im Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit eine Straftat begangen worden ist.

(3) Der Arbeitnehmer hat das Recht, sich direkt an die Öffentlichkeit zu wenden, wenn das öffentliche Interesse am Bekanntwerden der Information das betriebliche Interesse an deren Geheimhaltung erheblich überwiegt. Ein solches überwiegendes öffentliches Interesse ist insbesondere gegeben, wenn der Arbeitnehmer aufgrund konkreter Anhaltspunkte annimmt, dass im Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit eine gegenwärtige,

erhebliche Gefahr für Leben, Körper, Gesundheit, Persönlichkeitsrecht oder Freiheit der Person, Stabilität des Finanzsystems oder Umwelt droht.

(4) Der Arbeitnehmer darf eine verkörperte Wiedergabe der betrieblichen Information, die er offenbaren will, herstellen und an die jeweils zuständige Stelle übermitteln, soweit dies erforderlich ist, um die Voraussetzungen seiner Rechte nach den Absätzen 1 bis 3 glaubhaft zu machen.

(5) Von den Absätzen 1 bis 4 kann nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden.

(6) Beschwerderechte des Arbeitnehmers sowie Anzeige- und Äußerungsrechte nach anderen Rechtsvorschriften und die Rechte der Arbeitnehmervertretungen bleiben unberührt.

Der gesamte Entwurf findet sich in BT-Drucksache 17/9782.

Quelle: https://dserver.bundestag.de/btd/17/097/1709782.pdf

c) EU-Richtlinie und nationale Umsetzung

Nachdem es in Deutschland keine Gesetzesinitiative für einen allgemeinen Hinweisgeberschutz über die parlamentarischen Hürden schaffte, wurde europaweit mit der Hinweisgeber-Richtlinie (Richtlinie (EU) 2019/1937) den EU-Mitgliedsstaaten die Übernahme von Hinweisgebersystemen und Hinweisgeberschutz mit der Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht aufgegeben. Die Mitgliedsstaaten hätten dazu bis zum 17.12.2021 Zeit gehabt.

Einige Anmerkungen zur Hinweisgeber-Richtlinie:

Die Richtlinie setzt den allgemeinen Hinweisgeberschutz für solche Hinweise, die den Hinweisgeber im Rahmen des beruflichen Umfelds zur Kenntnis gelangen, um. Sie gilt nicht nur für Unternehmen, mit mehr als 50 Beschäftigten, sondern auch für EU und ihre Institutionen, alle juristischen Personen des öffentlichen Rechts, alle Gemeinden mit als 10.000 Einwohnern sowie Behörden.

Der persönliche Anwendungsbereich der Richtlinie ist nicht nur auf Arbeitnehmer und Mitarbeiter der genannten Unternehmen, Behörden und Gemeinden beschränkt. Sie gilt auch für ehemalige Arbeitnehmer, Stellenbewerber, Praktikanten und Leiharbeiter. Auch für sonstige Beschäftigte wie Selbstständige und Freiwillige gilt der Hinweisgeberschutz. Selbst Anteilseigner, Geschäftspartner, Kunden, Auftragnehmer, Lieferanten und deren Mitarbeiter sind von der Richtlinie geschützt. Hier geht der Schutz bzw. der Anwendungsbereich deutlich über einen Schutz nach § 612a BGB (begrenzt auf Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnliche Stellungen) hinaus.

Grundsätzlich müssen die Hinweisgeber aber mindestens im guten Glauben handeln. Das heißt, wenn Hinweise im Bewusstsein gegeben werden, dass die Meldung falsch ist oder nur einen Racheakt darstellt, dann unterfallen solche Meinung nicht der Richtlinie. Hinweisgeber müssen deshalb hinreichenden Grund zu der Annahme haben, dass die gemeldeten Informationen über Verstöße zum Zeitpunkt der Meldung der Wahrheit entsprachen und dass diese Informationen in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen. Welche Prüfungsmaßstäbe nun für die Hinweisgeber sich daraus ergeben, bleibt im Unklaren. Gerade bei der engen Ausgestaltung der betroffenen Bereiche und der betroffenen Rechtsakte würde sich kein Hinweisgeber die Mühe machen zu prüfen, ob sein Hinweis genau in diese Bereiche fällt oder fallen könnte. Aber was passiert, wenn man diese Verpflichtung nicht erfüllt? Entfällt dann der Schutz der Richtlinie?

In der Richtlinie findet sich allerdings kein umfassender Schutz oder keine Ausdehnung auf alle strafrechtlich relevanten Handlungen. Von der Hinweisgebung sind lediglich bestimmte und aufgezählte europäische Rechtsakte und die zugehörigen Umsetzungsvorschriften (siehe Anhang zur Richtlinie) umfasst. Dies sind u.a. Informationen und Hinweisen in den Bereichen der Auftragsvergabe, der Produktsicherheit, der Finanzdienstleistungen, des Umweltschutzes, des Strahlenschutzes des Verbraucherschutzes, der Lebensmittel- und Futtersicherheit. Meldungen von Verstößen gegen das unionsrechtliche Arbeitsrecht werden unter Verweis auf die bestehenden EU-Regelungen im Arbeitsschutz nicht erfasst.

Hinweisgeber haben die Möglichkeit und Wahl ihre Meldungen und Hinweise entweder über interne Kanäle, also z.B. direkt an die Unternehmen, zu melden, oder über externe Kanäle, beispielsweise an die zuständigen Behörden. In beiden Fällen müssen die jeweiligen Verpflichten sichere Kommunikationswege einrichten und betreiben. Sollte auf die Meldung keine Reaktion folgen oder lässt sich die Annahme rechtfertigen, dass nur eine sofortige Offenlegung vor einer Gefährdung des öffentlichen Interesses bewahrt, kann auch die Offenlegung erfolgen. Die Offenlegung wäre z.B. die Veröffentlichung oder Einschaltung der Presse.

In Artikel 19 der Richtlinie werden in einem langen Katalog mögliche Repressalien nicht nur arbeitsrechtlicher Natur genannt, die nach dieser Richtlinie verboten sind. Dabei ist der Katalog nicht abschließend. Es folgen in den weiteren Artikeln Regelung, die die Mitgliedsstaaten in ihren nationalen Rechtsordnungen treffen müssen, um die Hinweisgeber zu unterstützen, weiter zu schützen, vor Repressalien zu schützen und zur Sanktionierung bei Zuwiderhandlungen (Artikel 20 bis 24).

Für die Umsetzung hatten die Mitgliedsstaaten bis zum 17.12.2021 Zeit. In Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern hätten die Regelungen zum Hinweisschutz zu diesem Zeitpunkt bereits in Kraft treten müssen. In Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern, aber mehr als 50, müssen die Regelungen zum Hinweisgeberschutz bis zum 17.12.2023 in Kraft gesetzt werden.

Nicht nur Deutschland hat die Hinweisgeber-Richtlinie nicht umgesetzt. Die EU hat gegen Deutschland und 22 weitere Mitgliedsstaaten ein Vertragsverletzungsverfahren wegen der noch nicht umgesetzten Richtlinie eingeleitet. Der Hinweisgeberschutz wurde auch in den meisten anderen Mitgliedsstaaten nicht ernst genommen und umgesetzt.

d) Erster Versuch einer nationalen Umsetzung der EU-Richtlinie

In Deutschland ist bis zum heutigen Zeitpunkt diese Richtlinie noch nicht in nationales Recht umgesetzt worden, obwohl es nicht an dem nötigen Willen oder Entwürfen gemangelt hätte.

Einen ersten Entwurf um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen, gab es bereits 2020 mit einem ersten vom BMJ (zu dieser Zeit geführt von der SPD) erarbeiteten Entwurf (siehe unter Referentenentwurf).

Der Entwurf sah vor, dass nicht nur bei Verstößen gegen EU-Recht Hinweise von Arbeitnehmern und anderen Personen gegeben werden können. Der Hinweisschutz sollte auch bei Verstoß gegen nationale Regelungen gelten, die straf- oder bußgeldbewährt sind (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 HinSchG-E 2020). Dies stellt zur EU-Richtlinie eine große Ausweitung des Anwendungsbereiches dar.

Dies war dem Koalitionspartner der SPD wohl zu groß und so blockierte der Bundeswirtschaftsminister den weiteren Gang der Umsetzung in nationales Recht; dies vielleicht auch als mögliches Kalkül vor der Bundestagswahl.

Hinweisgeberrichtlinie

7. Entwurf des Hinweisgeberschutzgesetzes (Entwurf 2022) und Kritik

Ein zweiter Versuch der Umsetzung wurde in diesem Jahr durch den neuen FDP-Justizminister Buschmann unternommen. Der Referentenentwurf sieht Veränderungen zum Entwurf von 2020 vor (Entwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden).

a) HinSchG-E 2022

Unter anderen wurde der Anwendungsbereich verändert. Zwar sollen Hinweis auch immer noch bei Verstoß gegen nationale Regelungen möglich sein, aber nur noch solche, die strafbewährt sind. Bei bußgeldbewährten Regelungen sollen diese nur noch dann umfasst sein, wenn die verletzte Vorschrift dem Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dient (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 HinSchG-E 2022).

Hinzugekommen sind unter § 2 noch weitere Rechtsvorschriften des Bundes und der Länder sowie unmittelbar geltende Rechtsakte der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 HinSchG-E 2022) sowie Verstöße gegen § 4d Abs. 1 S. 1 Finanzdienst-leistungsaufsichtsgesetz (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 HinSchG-E 2022) und Verstöße gegen für Körperschaften und Personenhandelsgesellschaften geltende steuerliche Rechtsnormen (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 HinSchG-E 2022).

Außerdem wird die Geltung des Hinweisgeberschutzes zusätzlich ausgeschlossen, wenn es um Informationen von Nachrichtendiensten und ähnlichen Behörden geht (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 HinSchG-E 2022). Im Entwurf von 2020 war der Hinweisgeberschutz u.a. für Informationen nationalen Interesses und der Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen gem. Artikel 346 AEUV ausgeschlossen.

Im Entwurf bleibt auch das Wahlrecht der Hinweisgeber, ob diese interne oder externe Meldekanäle nutzen wollen enthalten (§ 7 HinSchG-E 2022). Eine Festlegung, dass Hinweisgeber sich zuerst an die internen Kanäle z.B. im Unternehmen wenden müssen, besteht damit nicht. Im Gegensatz zum Entwurf von 2020 wurde auch die Möglichkeit gestrichen, dass Beschäftigungsgeber Anreize schaffen können, damit Hinweisgeber interne Meldungen vorrangig nutzen können (§ 7 Abs. 3 HinSchG-E 2020 fehlt im aktuellen Entwurf ersatzlos).

Der Hinweisgeberschutz und der Schutz ihrer Identität entfällt für die Hinweisgeber dann, wenn sie vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige Informationen über Verstöße melden (§ 9 Abs. 1 HinSchG-E 2022). Außerdem darf die Identität u.a. an Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden (§ 9 Abs. 2 HinSchG-E 2022).

Arbeitgeber und Beschäftgiungsgeber haben eigene Meldestellen für interne Meldung selbstständig zu errichten, wenn sie mehr als 250 Beschäftigte beschäftigen. Bei kleineren Arbeitgebern und Beschäftigungsgebern, mit mehr als 50 Mitarbeiter aber weniger als 250, können diese gemeinsame Meldestellen einrichten (§ 14 Abs. 2 HinSchG-E 2022).

Eine externe Meldestelle wird bundesweit beim Bundesamt für Justiz eingerichtet (§ 19 HinSchG-E 2022) oder die Bundesländer können eigene externe Stellen einrichten (§ 20 HinSchG-E 2022). Für bestimmte Meldungen ist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen oder das Bundeskartellamt als externe Meldestelle zuständig (§§ 21, 22 HinSchG-E 2022).

Eine Offenlegung, also z.B. über die Veröffentlichung über die Medien, ist zulässig wenn eine externe Meldung nicht in einer bestimmten Frist bearbeitet wurden. Offenlegungen sind auch zulässig, wenn Hinweisgeber einen hinreichenden Grund zu der Annahme hatten, dass

a) der Verstoß wegen eines Notfalls, der Gefahr irreversibler Schäden oder vergleichbarer Umstände eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen kann,

b) im Fall einer externen Meldung Repressalien zu befürchten sind oder

c) Beweismittel unterdrückt oder vernichtet werden könnten, Absprachen zwischen der zuständigen externen Meldestelle und dem Urheber des Verstoßes bestehen könnten oder aufgrund sonstiger besonderer Umstände die Aussichten gering sind, dass die externe Meldestelle wirksame Folgemaßnahmen nach § 29 einleiten wird (§ 32 HinSchG-E 2022).

§ 36 Abs. 1 HinSchG-E 2022 enthält ein Verbot der Repressalien gegen Hinweisgeber. Den Entwurf enthält jedoch nicht wie die EU-Richtlinie einen Katalog von Repressalien, die insbesondere verboten sind. Der Gesetzgeber übernimmt in dem Entwurf jedoch den Begriff Repressalien und vermeidet den in der deutschen Rechtsprechung und Rechtswissenschaft tradierten Begriff der Maßregelung (vgl. § 612a BGB). Ob § 36 Abs. 1 HinSchG-E 2022 damit einen eigenen Anspruch z.B. auf Kündigungsschutz oder als Maßregelungsverbot enthält oder nur auf bestehende Verbote und Regelungen hinweist, bleibt offen. Es wird auf die Rechtsprechung der Arbeitsgerichtsbarkeit ankommen, ob sich hieraus z.B. ein besonderer Kündigungsschutz entwickeln kann und wie dieser anzuwenden wäre.

§ 36 Abs. 2 HinSchG-E 2022 enthält eine Beweislastumkehr für Repressalien. So wird für jede Repressalie vermutet, dass eine Benachteiligung nur deshalb im Kontext der Meldung oder Offenlegung vorliegt, weil die Meldung oder Offenlegung getätigt wird. Die benachteiligende Person muss allerdings beweisen, dass eine Benachteiligung nicht vorliegt, weil der Hinweisgeber einen Hinweis gegeben hat. Wie z.B. ein Arbeitgeber oder Beschäftigungsgeber einen solchen Beweis erbringen kann, dürfte in der Praxis schwierig sein.

Die §§ 37 und 38 HinSchG-E 2022 enthalten zwei spezielle Schadensersatzvorschriften. § 37 soll Schadensersatz für die hinweisgebenden Personen festschreiben, welche von Repressalien betroffen sind. § 38 hingegen schreibt Schadensersatz vor, wenn der Hinweisgeber seinerseits vorsätzlich oder grob fahrlässig Falschmeldungen abgibt. Somit müssen hinweisgebende Personen ihre Meldungen oder Offenlegungen immer sehr genau prüfen um sich nicht schadensersatzpflichtig zu machen.

b) Kritik

Zu dem Gesetzentwurf liegen 45 Stellungnahmen von Verbänden und Organisationen vor. Je nachdem welche Personengruppe diese vertreten, fällt der Schutz und die Reichweite des Gesetzesentwurfs zu gering oder stark aus.

Beispielsweise haben einige Verbände Angst, dass Arbeitnehmer, die z.B. gekündigt werden sollen und von dieser Kündigung Kenntnis erlangen bevor sie offiziell gekündigt worden sind, Meldungen abgeben um in den Genuss des Repressalien-Verbots zu gelangen und damit die Kündigung verhindert werden kann. Allerdings muss hierfür überhaupt eine Meldung oder der Grund für eine Meldung bestehen. Fraglos kann der Schutz des Gesetzes aber damit auch entfallen, wenn es sich um vorsätzlich oder grob fahrlässige Falschmeldungen handelt, die nur die Motivation haben eine Kündigung als Repressalie zu verhindern.

Außerdem wird eingewandt, dass der Entwurf die betroffenen Regelungen, aufgrund derer Meldungen abgegeben werden können, im Vergleich zur EU-Richtlinie übererfüllt. Damit solle der Aufwand für die Meldestellen steigen, wird befürchtet. Zwar wird in der EU-Richtlinie nur von bestimmten EU-Richtlinien, Rechtsakten und deren Umsetzung gesprochen, aufgrund derer eine Meldung gerechtfertigt ist. Jedoch erscheint dieser Hinweisschutz in Bezug auf bestimmte Bereich zu eng und zu sehr auf eine passive Compliance zugeschnitten zu sein, allerdings mit der Kompetenz der EU zu erklären sein. Gerade die Entwicklung der Compliance-Anwendung und des Stellenwertes in der Unternehmensführung mit den Zielsetzungen und Ergebnisoffenheit hinsichtlich der Prüfung der Einhaltung gesetzlicher Regeln und eigenen Verhaltenskodizies setzt ein relativ weites Feld der Hinweisgeber und der angewendeten Regeln voraus. Da Hinweisgebersysteme jedoch als Präventivmaßnahme im Rahmen der Compliance erkannt wurden und sich dieser Sektor deutlich gegenüber den Anfangsjahren der Compliance in den 2000er entwickelt hat, wäre eine nationale Regelung, die nur ganz bestimmte Sparten berücksichtigt, ein deutlicher Rückschritt in Compliance-Aufgaben auf die Compliance-Entwicklung der 2000er Jahre.

Kritisiert wird auch das Wahlrecht zwischen interner und externer Meldung. Hier wird angeführt, dass doch der Vorgesetze oder das Unternehmen immer die erste Stufe der Meldung bilden müssen. Unternehmen sollten immer die Chance haben die Meldung selbst zu bearbeiten und interne Aufklärung von potenziellen Verstößen aufzuklären. Gerade aber, wenn sich Meldungen über Verstöße auf ein Handeln der Unternehmensführung beziehen, die bewusst rechtswidrig sind und in Kenntnis der Rechtswidrigkeit geschehen, würden interne Meldungen nur dazu führen, dass diese Geschäftspraktiken eventuell eingestellt, vertuscht oder etwaige Beweise dafür vernichtet werden. Allerdings muss auch konstatiert werden, dass es keine Anreize mehr für interne Meldungen im aktuellen Referentenentwurf gibt (vgl. § 7 Abs. 3 HinSchG-E 2020).

Kritik wird auch daran laut, dass es keine Verpflichtung gibt anonyme Hinweis zu ermöglichen. Im Entwurf von 2022 wird in § 16 Abs. 1 Satz 4 HinSchG-E 2022 (sowie § 27 Abs. 1 Satz 3 HinSchG-E 2022 für externe Meldestellen) eine Verpflichtung ausgeschlossen, dass auch anonyme Meldungen möglich werden sollen. Im Entwurf von 2020 waren beide Sätze noch nicht enthalten. Gerade aber anonyme Meldungen haben eine niedrige Hemmschwelle, wenn auch die weiter oben skizierten Probleme hinsichtlich des Dialogs mit den anonymen Hinweisgebern entstehen können. Anonyme Meldungen sind im Bereich der Hinweisgebersysteme ein wichtiges und probates Mittel, welche eine niedrige Hemmschwelle besitzen. Deshalb sollte, wie bei Strafanzeigen auch, die Möglichkeit grundsätzlich bestehen, dass Meldungen auch anonym geschehen können. In die absolute Vertraulichkeit der Identitätswahrung haben die meisten Hinweisgeber, vielleicht sogar bei Nutzung internen Kanäle, meist kein großes Vertrauen.

8. Conclusio und abschließende persönliche Meinung

Hinweisgebersysteme sind grundsätzlich ein gutes Mittel um Verstöße gegen Strafgesetze und Schutzgesetze anzuzeigen. Dabei müssen allerdings immer der Schutz und die Vertraulichkeit der Hinweisgeber genauso gewahrt werden, wie die Unschuldsvermutung gegenüber den „Tätern“ oder beschuldigten Personen. Im Strafrecht gilt „in dubio pro reo“ – im Zweifel für den Angeklagten. Auch wenn Hinweisgeber bewusst die Systeme ausnutzen unliebsame Kollegen „anzuschwärzen“, sollten daher Meldungen in jedem Fall immer vertraulich und ergebnisoffen betrachtet werden. Je weniger Personen von solchen Meldungen wissen, desto weniger können auch bewusste unwahre Meldungen dem Image und Ansehen einer beschuldigten Person schaden. Und im Zweifel gilt die Unschuld der beschuldigten Person solange, wie die Schuld nicht bewiesen ist.

Des Weiteren verursachen Hinweisgebersysteme zwar auch Kosten und man mag glauben, dass diese „nichts bringen“, doch zeigt sich in der Praxis eine andere Seite. Wie sich im Whistleblowing Report 2021 zeigt, erhielten Unternehmen im Jahr 2020 im Schnitt 34 Meldungen über Hinweisgebersysteme. Das heißt genutzt werden solche System bereits sehr erfolgreich.

Ob die Kosten für solche Systeme wirklich hoch sind, kann in Fällen dahinstehen, in denen die Systeme und die Meldungen die Unternehmen vor finanziellen Schäden bewahren. Denn auch das Fehlverhalten einzelner Angestellter kann zu Imageschäden für das ganze Unternehmen führen, die unter Umständen deutlich teurer sein können.

Wichtig dürfte für das Whistleblowing grundsätzlich sein, dass das Hinweisgeben auch anonym möglich ist. Gerade in kleinen Unternehmen, welche gerade die Grenze von mehr als 50 Beschäftigen überschreiten, dürfte die Angst der Hinweisgeber groß sein, dass die Vertraulichkeit ihrer Identität eben gerade nicht gewahrt bleibt. Selbst wenn zwar Repressalien ausgeschlossen sind und Schadenersatzansprüche bestehen, entschädigt oder schützt dies nicht vor der sozialen Ausgrenzung der Kollegen. Auch wenn die Meldungen über Kollegen berechtigt wären und damit illegales Handeln oder Straftaten aufgedeckt werden, sind die soziale Komponente oder solche Ängste davor so groß, dass von solchen Meldungen abgesehen wird, weil die namentliche Meldung als nicht sicher oder vertraulich genug angesehen wird.

Für die betroffenen Hinweisgeber besteht darüber hinaus die Frage des arbeitsrechtlichen Schutzes. Selbst wenn Kündigungen und andere Repressalien arbeitsrechtlicher Natur eigentlich verboten sind und ausgeschlossen sein sollen, ist die Frage, ob dies in der Realität auch so funktioniert. Das Arbeitsverhältnis kann trotz der Integrität und Wahrung der Identität durch einen Verdacht oder unbemerkte Äußerungen immer derart belastet werden, dass eine Zusammenarbeit unzumutbar ist, und trotz, dass ein Weiterbeschäftigungsanspruch besteht oder gerichtlich entschieden wurde. Gerade wenn nur eine Handvoll Mitarbeiter z.B. von den Vorwürfen Kenntnis erlangen konnten, kann es zu Gerüchten kommen, die bereits soziale Ausgrenzung bewirken. Dann nützen weder Schutzvorschriften noch Verbote vor Repressalien.

Insgesamt ist der Sektor des Hinweisschutzes differenziert zu betrachten. Bei richtiger Ausgestaltung können Hinweisgebersysteme den Unternehmen einen Mehrwert und echten Nutzen bringen. Dafür müssen aber die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen stimmen. Finanzielle Anreize können genauso Hinweisgebersysteme zum Erfolg verhelfen wie die Nutzung von internen und externen Meldestellen und die Wahrung der Identität und Nutzung von anonymen Kanälen.  Letztlich dürfte die wirtschaftliche, arbeitsrechtliche und betriebliche Ausgestaltung und Organisation auch darüber entscheiden, ob das Risiko strafrechtlicher Handlungen, illegaler Handlungen und zwielichtiger Machenschaften in Unternehmen mit Hinweisgebersystemen eingedämmt und vorgebeugt werden kann.